Gedenkrundgang zum Holocaust-Gedenktag und Neuigkeiten zum Naziprozess

Gedenkrundgang in Wuppertal zum Holocaust-Gedenktag – 68. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz
27. Januar 2013
Treffpunkt: 15:00 Uhr am Gerechtigkeitsbrunnen auf dem Platz der Republik

Wir rufen auch dieses Jahr dazu auf, öffentlich an die ermordeten Jüdinnen und Juden, Sinti und Roma, Zeugen Jehovas, Kranken und Alten, Widerstandskämpfer*innen, Zwangsarbeiter*innen, Homosexuellen und an andere NS-Opfer zu erinnern.
Wir werden dieses Jahr den Ostersbaum erkunden, um an die widerständige Tradition dieses Arbeiter*innenviertels und an das (zerstörte) jüdische Leben in diesem Quartier zu erinnern. An einzelnen Stationen werden wir die weitgehend unbekannten NS-Opfer aus diesem Stadtteil ehren.
Nichts und Niemand ist vergessen!
P.S.: Kommt bitte in Gruppen, damit die Nazis keine Chance zu Übergriffen haben.
Interessant wird auch sein, ob die als Treffpunkte der Wuppertaler Nazis bekannten Wohnungen von Ricarda Kleist (Platz der Republik 27) und Christian Koppelmann (Deweerthstrasse 15) wieder als Rückzugsorte für Nazi-Provokationen dienen werden.


Ein paar Hinweise zum Prozess wg. des Naziüberfalls auf Flohmarkt-Besucher*innen am 25. September 2011
Zurzeit läuft vor dem Wuppertaler Amtsgericht der Prozess gegen Michele Dasberg, Mike Dasberg, Rene Heuke und Matthias Drewer, u.a. wegen gemeinschaftlicher schwerer Körperverletzung auf linke Flohmarktbesucher*innen.
( siehe http://antifacafewuppertal.blogsport.eu/archives/733 )
Der bisherige Prozessverlauf stellt alles in den Schatten, was man landläufig schon über die grottenschlechte, aber hellwache Polizeiarbeit gegen Rechts in Wuppertal wusste:
1. Aus den bisherigen Zeug*innenbefragungen geht klar hervor, dass der Staatsschutz bei den Vernehmungen von sog. neutralen Zeug*innen keinerlei eigenes Bildmaterial zur Überführung der Nazischläger hatte. Die „ermittelnden“ Beamt*innen griffen ausschließlich auf die Antifaflyer mit den bekannten Nazigesichtern zurück.
Diese Flyer mussten in einem Fall sogar von einem Zeugen mit zur Polizei gebracht werden. Die Polizei selber hatte gar keine Flyer in den Akten!
2. Die sog. neutralen Zeug*innen wurden erst im Dezember 2011, also drei Monate nach dem Überfall vernommen, eine Spurensicherung an den Waffen und eine Auswertung der Handys fanden nicht statt.
3. Eine Zeugin, die einen der Täter eindeutig identifizieren konnte und sich in der Nacht bereits als Zeugin bei der Polizei meldete, wollte am Tag nach dem Überfall ihre Aussage in der Vohwinkler Wache machen. Sie musste sich fast als Zeugin aufdrängen, da die wachhabenden Beamt*innen nur widerwillig die Anzeige aufnahmen. In ihrer Vernehmung konnte kein Bildmaterial vorgelegt werden und sie sollte wieder gehen mit dem Hinweis, sie würde in einer Woche wieder vorgeladen um ihr Bildmaterial vorzulegen. Zudem verwiesen sie darauf, man solle doch erst mal abwarten, ob die Linken überhaupt eine Anzeige machen.
Die Zeugin wurde übrigens nicht nochmal vernommen, sondern hat erst 16 Monate (!) später eine Vorladung zu Gericht bekommen und sollte dann versuchen die Angeklagten zu identifizieren.
4. Ein Zeuge entdeckte am nächsten Tag auf dem benachbarten Dach der Nazi-WG, verschiedene Knüppel, eine Art Baseballschläger und eine Fahne. Er fotografierte den Fund und verständigte die Polizei. Diese holte einen Leiterwagen der Feuerwehr zur Hilfe und barg die Waffen aus der Regenrinne. Die Funde wurden dem damaligen Leiter der Polizeiwache Vohwinkel Markus Preuß zur Aufbewahrung als Asservaten übergeben. Leider wurden bei den Beweisstücken keine Spuren gesichert.
Fotos der vorgefundenen Waffen befinden sich nicht in der Akte! Der Zeuge musste der Staatsanwaltschaft anbieten seine privaten Fotos bei der nächsten Vernehmung vorzulegen. Der Staatsanwalt wollte darauf zurückkommen.
5. Noch unglaublicher ist, dass ein Baseballschläger nicht mehr bei den Asservaten gefunden wurde und verschwunden ist. Zählte die Polizei in den Akten noch 8 (gefundene) Schlaggegenstände, da waren es plötzlich nur noch 7… Man darf gespannt sein, wie der abgesetzte Polizeichef Markus Preuß das Verschwinden der Asservaten begründen wird, zumal das Foto mit den Beweisstücken noch existiert.
Zu Preuß: http://huschhusch.blogsport.de/2011/10/14/der-umstrittene-und-ahnungslose-leiter-der-polizeiwache-wuppertal-vohwinkel-markus-preuss-ist-beurlaubt/
Übereinstimmend haben drei Zeug*innen ausgesagt, dass sie eindeutig einen Baseballschläger gesehen haben. Bei der polizeilichen Vernehmung hatten alle drei das Gefühl, dass die Polizei ihnen in den Mund legen wollte, das kann nicht sein. Sie können keinen Baseballschläger gesehen haben, Zitat: „Dass sei ein Sportgerät.“ Einer Zeugin wurde im Internet ein Foto eines Baseballschlägers vorgelegt. Als sie immer noch bestätigte, genau so einen gesehen zu haben, wollte dass die Polizei trotzdem nicht aufnehmen. Jedoch sind alle drei Zeug*innen weiterhin überzeugt einen Baseballschläger bei den Nazis gesehen zu haben.
6. Der angeblich Nazi-Aussteiger Patrick Prass, der nach eigenen Angaben vom Exit-Programm betreut wird und daher seine Naziaktivitäten ein wenig zurückstellen muss, wurde freundlichst von seinen „Kameraden“ bei der Anreise in der Schwebebahn begrüßt. Christan Dahlhoff übernahm dann auch folgerichtig die Zeugenbetreuung vor dem Gerichtssaal. Mit Erfolg. Prass tischte einen Zeugenaussage auf, dass sich die Balken bogen: Er behauptete, er hätte in der Tatnacht von 23:00 bis 5:00 Uhr im mit Hakenkreuz dekorierten Zimmer von Rene Heuke durchgeschlafen…
7. Die Bewohner*innen der Nazi-WG in der Kaiserstrasse, die zeitweise in Wichlinghausen wohnen mussten, kehren in eine neue Nazi-WG nach Vohwinkel, diesmal in der Vohwinklerstrasse, zurück. Mieter sind u.a. Rene Heuke und Matthias Drewer. Man darf gespannt sein, wann die neue Nazi-WG wieder für Schlagzeilen sorgt.
Der Prozess wird am Mittwoch, 6. Februar um 9:15 Uhr am Amtsgericht Wuppertal fortgeführt. Darüber hinaus sind zwei weitere Verhandlungstage angesetzt.
Antifaschistische Initiative Wuppertal
Antifa-Café Wuppertal

Ein Gedanke zu „Gedenkrundgang zum Holocaust-Gedenktag und Neuigkeiten zum Naziprozess

  1. „Antisemitismus wird immer öfter salonfähig“
    Eva Krafczyk: Vor 80 Jahren rissen die Nationalsozialisten die Macht an sich, vor 68 Jahren befreiten sowjetische Soldaten das Vernichtungslager Auschwitz, das seither Symbol für Menschenverachtung, Rassenhass und Massenmord ist. „Nie wieder Auschwitz“ gehört zum politischen Grundkonsens in Deutschland. Und trotzdem hat jeder Fünfte antisemitische Einstellungen – eine besondere Herausforderung für die Erinnerungskultur?
    Christoph Heubner: Ich bin dankbar für eine vielfältige Erinnerungskultur in Deutschland. Und dennoch gilt: Eine Erinnerungskultur – Gedenkfeiern, Schulstunden, Gottesdienste –, die den Weg in die heutigen Verhältnisse nicht findet, erstarrt in leerem Geschwätz und dürrem Pathos. Wir erinnern uns doch nicht, um ein gutes Gewissen zu haben. Erinnerung und Beunruhigung gehören zusammen. Es geht an diesem Tag auch um Rassenhass und Kindermord, der vom damaligen deutschen Staat begangen und von vielen seiner Bürger unterstützt wurde. Das beunruhigt mich bis heute.
    Und heute kriechen der Antisemitismus und antijüdische Stereotypen in Deutschland erneut aus den Ecken – teils in altbekannter Weise. Neu ist jedoch, dass der Antisemitismus in die Mitte der Gesellschaft wächst, dass er immer öfter salonfähig wird. Für die Überlebenden ist das zum Verzweifeln: Wenn dreißig Prozent der Befragten in einer kürzlich in Deutschland vorgelegten Studie meinen, dass „die Juden die Erinnerung an den Holocaust heute für ihren eigenen Vorteil ausnutzen“, ist das ein Angriff auf die Würde und ein Schlag ins Gesicht jedes Menschen, der Auschwitz und andere deutsche Konzentrationslager überlebt hat.
    Eva Krafczyk: Antisemitismus, Fremdenhass oder Rassismus sind keine deutsche Spezialität. In jüngster Zeit macht Ungarn mit seiner rechtspopulistischen Regierung Negativschlagzeilen – das Land, aus dem fast die Hälfte der in Auschwitz ermordeten Juden stammte. Sie haben regelmäßig Kontakt zu Überlebenden – wie reagieren die ehemaligen Auschwitz-Häftlinge auf diese Entwicklung?
    Christoph Heubner: Ich war vor wenigen Tagen in Budapest und habe dort bei Veranstaltungen und im privaten Rahmen viel mit Überlebenden sprechen können. Sie sind von absoluter Trauer erfüllt angesichts der antisemitischen Hetze, die sie umgibt. All das kommt ihnen aus der eigenen Jugend so entsetzlich bekannt vor und sie haben Angst um die Zukunft ihrer Kinder und Enkel. Hinzu kommt das Mitgefühl, das sie für die Roma in Ungarn empfinden: Auf ihnen lastet noch mehr Druck, Hass und Vernichtungswille, der ihnen sogar aus der Zeitung entgegen springt. Mit Erbitterung sehen die Überlebenden auch, dass Europa seiner Rolle nicht gerecht wird. Sie fühlen sich im Dunkel dieses Hasses allein gelassen.
    Eva Krafczyk: Die meisten der Überlebenden sind sehr alt, viele gesundheitlich stark beeinträchtigt – nicht zuletzt eine Folge der Jahre in Ghettos und Lagern. In ein paar Jahren werden die Stimmen der Zeitzeugen fehlen. Was ist zu tun, damit die Erinnerung nicht verstummt, was liegt den Überlebenden hier besonders am Herzen?
    Christoph Heubner: Die Überlebenden haben nicht geschwiegen. Sie haben ihre Erinnerungen bei unzähligen Gesprächen mit jungen Menschen weitergegeben. Ich kenne viele junge Menschen für die diese Begegnungen mit Überlebenden zu einem ganz prägenden Teil ihres Erwachsenwerdens gehören, die sie nicht vergessen werden: Sie sind die Zeugen der Zeitzeugen geworden. Zur Zeit arbeite ich mit Volkswagen-Auszubildenden an dem Projekt einer großen Skulptur, die die Erinnerungen der Überlebenden aufnehmen und für die Zukunft bewahren soll. Die ehemaligen Auschwitz-Häftlinge haben für die Skulptur als Aufschrift und als Quintessenz ihrer Lebenserfahrung den Satz ausgewählt: „Erinnert Euch: Wenn Unrecht geschieht, wenn Menschen diskriminiert und verfolgt werden – bleibt nicht gleichgültig. Gleichgültigkeit tötet.“ Das haben sie als junge Menschen erlebt und das liegt ihnen am Herzen.
    Eva Krafczyk: Viele der jungen Menschen, die nach Oswiecim kommen, haben keine Großeltern mehr, die den Zweiten Weltkrieg bewusst erlebt haben, andere haben ihre Wurzeln in anderen Ländern und Kulturen. Welche Herausforderungen hat das für die Erinnerungsarbeit und was verändert sich – etwa mit Blick den Völkermord in Ruanda, die ethnischen Konflikte auf dem Balkan und andere Gewalttaten, die es trotz der weltweiten „Nie wieder Auschwitz“-Appelle in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten gegeben hat?
    Christoph Heubner: Eine polnische Dichterin hat formuliert: „Vergesst nie, dass Menschen Menschen dieses Schicksal bereitet haben.“ In Auschwitz wird also eine Menschheitsgeschichte erzählt, die Menschen – besonders junge Menschen – aus allen Ländern und allen Kulturen gleichermaßen betrifft und die man ihnen so erzählen muss, dass sie sie verstehen – im Blick auf ihre eigene Geschichte, ihre eigene Familie und ihre eigene Situation. Sind diese Berichte und Erzählungen hilf- und sinnlos angesichts der Völkermorde nach Auschwitz?
    Wenn ich dies bejahen würde wäre eine Institution wie die Internationale Jugendbegegnungsstätte ebenso sinnlos. Immerhin hat die Europäische Union gerade den Friedensnobelpreis erhalten. Sie ist auch auf der Asche von Auschwitz entstanden. Zu meiner Arbeit gehört die Hoffnung. Das haben mir gerade die Überlebenden immer wieder – mit dem Mut der Verzweiflung – vermittelt.
    Christoph Heubner ist der Exekutiv-Vizepräsident des Internationalen Auschwitz Komitees.
    Die Fragen stellte Eva Krafczyk, Deutsche Presse Agentur (dpa).

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