9. November 2012 – Erinnern heißt handeln

Veranstaltungen in Wuppertal und Mettmann
11.00 Uhr Jüdischer Friedhof am Weinberg, Wuppertal-Elberfeld:
Gedenken an die Pogromnacht 1938
16:30 Uhr vor der Schwebebahnstation Loher Brücke:
Antifaschistischer Gedenkrundgang in Erinnerung an die Wuppertaler Pogromnacht vor 74 Jahren und an Karl-Hans Rohn.
Stationen sind u.a. der Tatort des Mordes, die neue Synagoge und die Gedenktafel an der zerstörten Synagoge am Scheuren.
19:00 Uhr Mettmann Zentrum:
Überregionale Demonstration zum 74. Jahrestag der Reichspogromnacht unter dem Motto „Die Erinnerung zur Mahnung“

Nichts und niemand ist vergessen!
Wir wollen anlässlich unseres Gedenkrundganges am 9.November 2012 auch an Karl-Hans Rohn vor der ehemaligen Gaststätte am Hohenstein erinnern. Weitere Stationen sind die neue Synagoge und die Gedenktafel für die zerstörte Barmer Synagoge am Scheuren.
Anschließend fahren wir gemeinsam zur überregionalen 9.November-Demo nach Mettmann“

Rostock, Mölln, Silvio Meier, Solingen…
Rassismus und Antisemitismus tötet!

Vor 20 Jahren – Neonazis ermorden Karl-Hans Rohn
Nahezu flächendeckend wird das wiedervereinigte Deutschland nach 1990 von Pogromen und nationalen Gewaltexzessen erschüttert; jede*r der/die nicht in das Weltbild der Neonazis passt gerät ins Visier und wird um Leib und Leben bedroht. Hoyerswerda, Mölln und Solingen sind die Symbole für diese Jahre des ungezügelten Neonaziterrors. Über 180 Menschen wurden nach der Wiedervereinigung von Neonazis in Deutschland ermordet. Karl-Hans Rohn war einer von ihnen. Er ist in Wuppertal fast vergessen – es gibt kein Erinnerungszeichen, nichts erinnert an das erste Wuppertaler Neonaziopfer seit dem 2. Weltkrieg.
Was genau sich in der Nacht vom 12. auf den 13.11.1992 in der kleinen Kneipe „Laternchen“ zugetragen hat, ist nicht in Gänze geklärt. Aussagen zum Tathergang gibt es nur von den faschistischen Tätern. So betrat Karl-Hans Rohn (53) am Abend des 12.11.1992 die schlecht besuchte Kneipe am Hohenstein in Wuppertal Unterbarmen / Loh und nahm am Tresen Platz, wo auch seine späteren Mörder saßen. Andreas Wember (26) und Michael Senf (19), beide in der Nationalistischen Front (NF) organisiert, treten als Skinheads martialisch auf und machen auch keinen Hehl aus ihrem Menschenbild, in ihrer Umgebung fühlen sie sich sicher und erfahren viel Anerkennung und wenig Gegenwind. Die drei Männer trinken gemeinsam große Mengen an Alkohol, die Stimmung scheint ausgelassen in der nun leeren Kneipe. Neben den Männern am Tresen ist nur der Wirt, Marian Glensk (32), anwesend. Die Aussagen zu den folgenden Stunden sind z.T. recht widersprüchlich. Unumstritten ist, dass Rohn mehrfach mit antisemitischen Beleidigungen und „Späßen“ traktiert wurde, da angenommen wurde er sei Jude. Laut Staatsanwaltschaft habe der Wirt die beiden jüngeren Männer immer wieder angestachelt und ermutigt Rohn auch körperlich zu attackieren. Durch sich gegenseitiges aufputschen, gebündelt mit Gewaltfantasien und von einem gnadenlosen Welt- und Menschenbild geleitet, stürzt sich der bullige Wember auf Rohn und schlägt ihn vom Barhocker. Der nun am Boden liegende Rohn wird nach diesem ersten Schlag, von zwei Seiten mit Springerstiefeln getreten bis er sich kaum rührt. Unter „…Juden müssen brennen!“ Rufe von Marian Glensk überschütten sie Rohn mit hochprozentigem Schnaps und zünden ihn an.
Aufgrund der Rauchentwicklung löschen die drei das Feuer bevor Rohn stirbt, jedoch war zu diesem Zeitpunkt schon klar, dass es für den alleinstehenden Mann keine Rettung mehr geben würde. Die beiden NF`ler schlagen vor, Rohn ins benachbarte Venlo zu schaffen und sich dort dem Sterbenden zu „entledigen“. Marian Glensk lässt sich überreden sein Fahrzeug dafür zu nutzen und das Trio fährt mit Rohn nach Holland, wo sie ihn an einer Autobahn aus dem Wagen werfen, ob Rohn zu diesem Zeitpunkt noch lebt bleibt unklar. Wenn ja wäre dies eher Zufall als ein Teil des tödlichen Plans. Mit welcher Brutalität die Mörder vorgegangen sind lässt sich im Obduktionsbefund erahnen; „…dem Opfer wurden nahezu alle Rippen gebrochen und Verbrennungen zweiten Grades zugeführt….“. Der Leichnam wird am nächsten Tag gefunden und über die Reifenspuren sind die Mörder auch recht schnell ermittelt.
Der antisemitische Mord an Karl-Hans Rohn in Wuppertal sorgt weltweit für Schlagzeilen. Nur die Wuppertaler Polizei und Staatsanwaltschaft üben sich in Ignoranz und wollen die internationale Öffentlichkeit beschwichtigen. Für die Wuppertaler Polizei ist die Tat eine „Kneipenschlägerei mit dramatischen Folge.“ Oberstaatsanwalt Rosenbaum wollte die internationale Öffentlichkeit mit der Feststellung beruhigen, dass Karl-Hans Rohn ja kein Jude sei. Er habe eine katholische Mutter und einen evangelischen Vater und sei in der Jüdischen Gemeinde in Wuppertal nicht bekannt.
Erst viele Monate später beim Prozess erkannten die Richter den neonazistischen und antisemitischen Hintergrund der Tat an. In der Urteilsbegründung hieß es u.a.: Die Täter seien „so mit rechtsradikalem Gedankengut vollgesaugt, dass sie in einem entscheidenden Moment nach rechtsradikalem Muster handelten.“ Andreas Wember und Michael Senf werden als Haupttäter zu 14 bzw. 8 Jahren (Jugendstrafrecht), und Marian Glensk zu 10 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt.

Die Pogrome vom 9. bis zum 11. November 1938 in Wuppertal
Wie überall im Deutschen Reich wurden zwischen dem 9. und 11. November 1938 auch in Wuppertal neben der Zerstörung der Synagogen und Betsäle, zahlreiche jüdische Geschäfte und Privatwohnungen teilweise am helligten Tag verwüstet und geplündert.
Die Täter brauchten nicht den Schutz der Nacht. Wenn die jüdischen Einrichtungen nicht restlos abbrannten, kamen sie bis zu dreimal an den Tatort wieder. Am 10. November um 4:00 Uhr brannte die Synagoge an der Genügsamkeitsstraße, um 8:00 Uhr wurde die Barmer Synagoge angezündet. Um 18:00 Uhr kamen die Brandstifter wieder in Genügsamkeitsstrasse und legten erneut Feuer. Die Friedhofskapellen am Weinberg und an der Hugostrasse brannten schließlich um 20:00 Uhr. Das Bettengeschäft Sigismund Alsberg in der Berliner Straße wurde dreimal angesteckt. Kissenbezüge und Betten wurden geraubt. Die Herzogstraße und die Königstraße in Elberfeld waren mit Waren und mit zertrümmerten Gegenständen aus jüdischen Geschäften übersät, auch die Textilhandlung Wolf und Heimann wurde geplündert.
In der Grünstraße waren ganze Wohnungseinrichtungen aus dem Haus geworfen worden, in der Elberfelder Wortmannstraße wurde ein Auto in Brand gesetzt.
Die Täter, unter ihnen der SS-Mann und Versteigerer Bruno Koepchen, fuhren mit der Kraftdroschke vor. In der Herzogstraße warfen sie beim Schuhhaus Tack und anderen jüdischen Geschäften mit Flaschen die Schaufensterscheiben ein. Der Fahrer brachte sie nach kurzem Zwischenstopp in der Kreisleitung der NSDAP zur Synagoge in die Elberfelder Genügsamkeitstraße. „Die Herren stiegen aus und begaben sich zur Synagoge. Da sie durch das Hauptportal nicht in die Synagoge hinein konnten, gingen sie von der Seite aus, durch den dort befindlichen Eingang in die Synagoge. Nach einiger Zeit sah ich dann, dass die Synagoge brannte.“
Die Zerstörungen mussten die Jüdinnen und Juden per „Sühneabgabe“ selber zahlen. Insgesamt 1 Milliarde Reichsmark mussten reichsweit für die „Judenvermögensabgabe“ zum Ausgleich der Schäden aufgebracht werden. Die Finanzämter „gewährten“ Ratenzahlungen, die in fünf Raten eingezogen wurden. Wer jetzt noch auswandern konnte, musste auch den Rest seines Vermögens den deutschen Finanzämtern überlassen. Nach der Pogromnacht wurden 125 jüdische Männer aus Wuppertal in die Konzentrationslager Dachau und Sachsenhausen verschleppt. Die Bilanz des Pogroms, das am 10. November offiziell für beendet erklärt wurde, war erschreckend: Über tausend Synagogen waren abgebrannt, mindestens 8000 jüdische Geschäfte zerstört sowie zahllose Wohnungen verwüstet. Zwischen 90 und 100 Jüdinnen und Juden waren erschlagen, niedergestochen oder zu Tode geprügelt worden. Hinzu kamen Millionenschäden an zerstörten Geschäftseinrichtungen und Schaufensterscheiben. Das alles wurde im Volksmund bald mit dem Begriff „Reichskristallnacht“ verharmlost.

Antifaschistische Initiative Wuppertal
Antifa-Café Wuppertal

Ein Gedanke zu „9. November 2012 – Erinnern heißt handeln

  1. Gedenken an Pogromnacht: Goldberg mahnt zur Wachsamkeit
    Von Andreas Boller
    Die jüdische Kultusgemeinde erinnerte an die Pogromnacht vor 74 Jahren.
    Kritik an Polizei und Justiz.
    Wuppertal. Am 9. November wird der Opfer der Nationalsozialisten in der Reichspogromnacht vom 9. zum 10. November 1938 gedacht, als im Bergischen Land die Synagogen brannten und jüdische Mitbürger deportiert und ermordet wurden. Auch in diesem Jahr fand eine Gedenkveranstaltung auf dem jüdischen Friedhof am Weinberg statt. Doch neben der Erinnerung an die Greueltaten der Nazizeit standen aktuelle Sorgen und Ängste der jüdischen Gemeinde im Mittelpunkt. Ein Gedenktag im Jahr ist nicht genug In seiner Ansprache berichtete Leonid Goldberg, Vorsitzender der jüdischen Kultusgemeinde, von einem Jahr, das schlimme Spuren hinterlassen habe. Er mahnte die Besucher der Gedenkstunde, dass es nicht reiche, sich einmal im Jahr am 9. November zu treffen. Goldbergs Appell klang eindringlicher als jemals zuvor, denn seine Sorge vor Rassismus und Gewalt in Wuppertal, Deutschland und anderen europäischen Ländern wächst, während sein Vertrauen in die Polizei und Justiz schwindet.
    So erinnerte er an die Demonstration gegen Rechts in Vohwinkel am 9. November 2011, als Neonazis friedliche Demonstranten mit Nazi-Paraolen belästigten, ohne dass die Polizei eingeschritten sei. Bis heute warte er auf Urteile gegen die Täter, auch im Zusammenhang mit den Vorfällen am Cinemaxx, als Rechtsradikale Jugendliche angriffen. „Für mich sieht es so aus, als ob die Staatsanwaltschaft nicht gegen die rechte Szene ermitteln will.“
    Geschockt zeigte er sich von dem Verlauf der Ermittlungen gegen die Terrorbande Nationalsozialistischer Untergrund. „Das sind keine Ermittlungspannen, das sieht nach Mittäterschaft aus“, erklärte Goldberg. Das Urteil Kölner Juristen und die folgende Diskussion über die Beschneidung, die Gedichte von Günter Grass – diese und viele andere Ereignisse und Entwicklungen sowie die wachsende rassistisch motivierte Gewalt seien Gründe „gemeinsam auf der Hut zu bleiben.“
    Norbert Feith: „Wir werden unserer Verantwortung gerecht“
    Solingens Oberbürgermeister Norbert Feith versicherte im Namen seiner Amtskollegen aus Wuppertal und Remscheid gegenüber der jüdischen Gemeinde, dass niemals ein Schlussstrich unter die Vergangenheit gezogen werde. Auch als Reaktion auf die Worte Goldbergs fügte er hinzu: „Ich bin überzeugt davon, dass wir unserer Verantwortung gerecht werden. Wir überlassen nicht die Straße und die Köpfe der Jugendlichen den Rassisten.“
    Erinnerungen
    Eine Schülerin und ein Schüler der Städtischen Gesamtschule Solingen
    berichteten über das Schicksal eines Solinger Mädchens, das die
    Judenverfolgung miterlebte und mit ihrer Familie überlebte. Bewegender
    Höhepunkt der Gedenkfeier war das jüdische Totengebet.
    Weitere Stolpersteine
    Ab sofort erinnern neue Stolpersteine an vier Stellen im Stadtgebiet an
    Opfer des Naziterrors aus Wuppertal. In Ronsdorf, vor der Lüttringhauser
    Straße 6, sind jetzt die Namen von Helene Marx und ihren Kindern Lore
    Margo und Rudolf zu lesen – wurden 1941 nach Minsk deportiert, wo sie
    vermutlich umkamen. Im gleichen Haus wohnte auch Emilie Leffmann, die
    ein Jahr später ins Konzentrationslager Theresienstadt verschleppt wurde
    und noch im gleichen Jahr im KZ Treblinka starb. Ihr ist ein weiterer
    Stolperstein gewidmet.
    Auch in Barmen, vor dem Haus Wichlinghauser Straße 50, gibt es seit
    diesem Freitag einen neuen Stein – er erinnert an Siegfried Steinmann,
    ermordet 1942, ebenfalls in Treblinka. Fünf weitere Steine wurden auf
    dem Rott vor der Rödiger Straße 68/70 verlegt, im Beisein von
    Oberbürgermeister Peter Jung. Diese, gesponsert von einer Schulklasse
    des Gymnasiums Sedanstraße, erinnert an Bernhard Censer und seine vier
    Kinder Ruth, Margrit Ingelore, Dieter und Achim, die 1938 nach Polen
    abgeschoben wurden und dort umkamen.
    Während all die bislang genannten wegen ihres jüdischen Glaubens
    umgebracht wurden, töteten die Nazis den Zahnarzt Karl Paul Paetzel,
    weil er schwul war. Der Elberfelder wurde 1942 im KZ Sachsenhausen
    ermordet – an ihn erinnert seit jetzt ein neuer Stolperstein in der
    Blumenstraße 28. Red

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