Dokumentation: „Keine besonderen Vorkommnisse“ über den 9. November in Wuppertal

Am 9. November 2011 fanden in Wuppertal mehrere Gedenkveranstaltungen zur Reichspogromnacht 1938 statt.
Der Film »Keine Besonderen Vorkommnisse« zeigt ein breites Bündnis gegen Rechts, das sowohl den Opfern der so genannten Reichspogromnacht gedenkt, als auch gegen die aktuellen Umtriebe der Nazis in Wuppertal protestiert. In dem Film werden diverse Bürger*innen aus Vohwinkel zur Problematik mit den Nazis interviewt, die in den vergangenen Monaten stark zugenommen hat. Bei der Hauptveranstaltung, einer Demonstration mit über 2500 Teilnehmer*innen in Vohwinkel treten bekannte Neonazis massiv auf: Sie hängen Fahnen aus den Fenstern und brüllen über einen längeren Zeitraum antisemitische und menschenverachtende Hetzparolen gegen die Demonstrant*innen. Die Polizei unternimmt keinerlei Anstalten dieses zu unterbinden und stellt sich statt dessen schützend vor das Haus. Im Polizeibericht heißt es später »Keine besonderen Vorkommnisse«. In einem Interview bezieht der Vorsitzende der Jüdischen Kultusgemeinde in Wuppertal, Leonid Goldberg dazu Stellung. Diese rassistische Provokation der Neonazis hätte so niemals stattfinden dürfen.
Eine Dokumentation des „Medienprojekts Wuppertal“.

WZ: Cinemaxx: Kontroverse Premiere unter Polizeischutz
Von Henrik Günther
Medienprojekt zeigt den Film „Keine besonderen Vorkommnisse“ über den Schweigemarsch in Vohwinkel.
Wuppertal. Polizeiautos parken vor dem Cinemaxx, sechs uniformierte Beamte haben vor dem Kino Stellung bezogen. Die Lage ist angespannt. Nicht nur Kinobesucherin Gina Lieber ist beunruhigt: „Überall Polizisten, was ist denn passiert?“, fragt die junge Frau. Die Polizei hat die Vorführung der 95. Ausgabe des Videomagazins „borderline“ geschützt – aus Angst vor Übergriffen aus der rechten Szene. Denn es geht um die Demo gegen Rechts am 9. November im Vohwinkel.
19 Minuten und 52 Sekunden dauert die Dokumentation „Keine Besonderen Vorkommnisse“ über den Schweigemarsch am 9. November, mit dem 2000 Wuppertaler gegen die Neonazi-Aktivitäten demonstrierten (WZ berichtete). Der Film zeigt deutlich, dass es – anders als im Demo-Fazit der Polizei – doch zu „besonderen Vorkommnissen“ kam: In der Kaiserstraße skandierten Rechtsextreme vom Obergeschoss aus eines Wohnhauses aus Parolen wie „Wer Deutschland liebt, ist Antisemit“ in Richtung der Demonstranten.
Der Film zeigt es: Die Polizei schritt damals nicht ein. Entrüstung unter den Demonstranten. „Warum steht ihr hier eigentlich, wohl wegen uns?“, hört man einen Demonstranten im Film zornig fragen. „Ja“, antwortet ein Polizist. Die Leinwand wird schwarz, der Abspann läuft, im Hintergrund hört man noch, wie die Nazis ihre Parolen grölen. Betroffenes Schweigen im Kino.
Der Film macht viele Zuschauer nachdenklich
Der Film hat viele Zuschauer nachdenklich gemacht. „Ich finde es erschreckend, dass die Polizei nicht gegen die Nazis vorgegangen ist“, sagt etwa Björn Bartholomay. Sascha Rehberg hätte sich derweil etwas anderes gewünscht: „In einer Szene hat sich ein Nazi direkt vor die Kamera gesetzt, da finde ich es schade, dass man ihn nicht einfach interviewt hat.“
Am Ende hat der Film zwar Eindruck hinterlassen, doch mit 150 Zuschauern war die Vorführung verhältnismäßig schlecht besucht. Und nur wenige Besucher sind extra wegen der Doku „Keine Besonderen Vorkommnisse“ ins Kino gekommen. Vor dem Cinemaxx blieb ebenfalls alles ruhig. Ein Polizist vermeldete: „Keine besonderen Vorkommnisse.“ Diesmal stimmt es. – 08.12.2011
* Borderline
Das Videomagazin „boderline“ will ein Magazin von Jugendlichen für Jugendliche sein. Fünfmal im Jahr zeigt das Medienprojekt Wuppertal bis zu 14 Beiträge, an denen im Durchschnitt 100 Jugendliche und junge Erwachsene mitgewirkt haben.

WZ: Schweigemarsch: Anzeige wegen Volksverhetzung in Vohwinkel
Von Andreas Spiegelhauer
Mehrere Teilnehmer der friedlichen Großdemo haben sich bei der Polizei gemeldet.
Vohwinkel. Der friedliche Schweigemarsch von mehr als 2000 Wuppertalern am 9. November dieses Jahres in Vohwinkel beschäftigt jetzt die Staatsanwaltschaft. Der Grund: Mehrere Demonstrationsteilnehmer haben sich an die Polizei gewandt. Unter anderem wurde auch Strafanzeige wegen des Verdachts der Volksverhetzung erstattet. Wie berichtet, führte der Demonstrationszug an einem Mehrfamilienhaus an der Kaiserstraße vorbei, in dem mehrere Neonazis eine Wohnung angemietet haben.
Die Staatsanwaltschaft soll die strafrechtliche Relevanz prüfen
Von dort seien volksverhetzende Sprüche in Richtung der friedlichen Demonstranten skandiert worden, heißt es in Anzeigen beziehungsweise Zeugenhinweisen. Am Freitag bestätigte die Polizei, dass es aus der besagten Wohnung zwar lautstarke und provozierende Äußerungen gegeben habe. Die Polizei vor Ort habe das registriert, aber nicht als strafrechtlich relevant eingestuft. Deshalb seien am Demo-Abend keine Strafverfahren eingeleitet worden. Der Einsatz wurde mit den Worten „keine besonderen Vorkommnisse“ zusammengefasst.
Angesichts der jüngst eingegangenen Strafanzeigen, werde man jetzt die Hinweise der Staatsanwaltschaft zur rechtlichen Prüfung vorlegen. Wie berichtet, hatte unter anderem die Wuppertaler Polizeipräsidentin Birgitta Radermacher, mehr oder weniger deutlich zu einer offenen und friedlichen Demonstration gegen Extremismus und Neonazis in Wuppertal aufgefordert. Bei dem Einsatz in Vohwinkel waren unter anderem mehrere hundert Polizeibeamte mehrere Stunden im Einsatz. – 25.11.2011

Warum fordert niemand den Rücktritt der Polizeipräsidentin Radermacher?
02.12.2011 17:10
Am 21. Januar 2011 zogen Rechtsradikale durch Wuppertal-Vohwinkel und skandierten Parolen wie „Die Straße den Deutschen“ und „Bomben auf Israel“. Ein 55jähriger Bürger reagierte darauf mit einer Anzeige wegen Volksverhetzung bei der Polizeiwache Vohwinkel, die sich jedoch weigerte, die Anzeige aufzunehmen.
Daraufhin erstattete der Bürger eine Dienstaufsichtsbeschwerde gegen den leitenden Polizeibeamten. Nach einer erneuten Anfrage erhielt er am 3. März 2011 einen Termin bei Herrn Manke von der Direktion Staatsschutz der Wuppertaler Polizei. Herr Manke belehrte den Bürger, dass es mit den Nazis in Vohwinkel doch alles nicht so schlimm sei. Das Problem seien die Autonomen, die vor Jahren an der Startbahn-West einen Polizisten totgeschlagen hätten.
Am 23. September 2011 marschierten die Nazis wieder durch Vohwinkel und brüllten Parolen wie: „Hier regiert der nationale Widerstand“, „Israel gehört abgeschafft“, „Bomben auf Israel“. Der Vohwinkeler Bürger erstattete wieder eine Anzeige wegen Volksverhetzung gegen die Veranstalter der Demonstration und eine Dienstaufsichtsbeschwerde gegen den leitenden Polizeibeamten und legte als Beweismittel ein Tonprotokoll vor. Er verband dies mit der Aufforderung: „Ich ersuche sie dringend, diesmal von einem Belehrungsversuch durch das K14 [Abteilung Staatsschutz] abzusehen. Ich bin 55 Jahre alt und kann die Aktivitäten der Faschisten und anderer Randgruppierungen sowohl einordnen als auch politisch einschätzen.“
Diese bislang nicht bekannten Vorgänge sind ein weiteres Beispiel für den verharmlosenden Umgang der Wuppertaler Polizei mit den Neonazis. Angefangen mit dem Überfall auf die Veranstaltung des Medienprojekts im Cinemaxx im Dezember 2010, dem gewalttätigen Auftreten auf der Demonstration am 29. Januar, den zahlreichen Gewalttaten gegen Andersdenke bis bin zum Auftritt gegen die Demonstration am 9. November: Die Straftaten der Nazis werden von der Polizei – wenn überhaupt – nur nachlässig verfolgt und als eine Auseinandersetzung zwischen Rechts- und Links – im Polizeijargon zwischen „Rechts- und Linksextremisten“ – wahrgenommen.Einzelne oder Gruppen, die sich gegen die Nazis wehren, werden nicht ernst genommen oder wie im Fall der Zeugen des Medienprojekts gezielt verunsichert. Und Menschen, die sich gegen gewalttätige Angriffe der Neonazis schützen, laufen Gefahr, von der Polizei als „Linksextremisten“ diffamiert und kriminalisiert zu werden.
Die Wuppertaler Polizei ist offensichtlich nicht nur auf dem rechten Auge blind, sondern auch auf dem rechten Ohr taub. Bei der Demonstration am 9. November skandierten die Neonazis Parolen skandieren wie „Mehr Gas – mehr Gas – mehr Gas“, „6 Millionen sind nicht genug“ und fotografierten Demoteilnehmer. Aber keiner der zahlreich anwesenden Polizeibeamten hatte es gehört. „Die Polizei vor Ort“, heißt es in der WZ, „habe das registriert aber nicht als strafrelevant eingestuft.“
Warum kommt die Wuppertaler Polizei ihrer Aufgabe, Straftaten aufzuklären, hinsichtlich der Neonazis nicht oder nur sehr nachlässig nach und gibt stattdessen politische Erklärungen ab? Ein Grund könnte sein, dass auch hier der Verfassungsschutz seine Hände im Spiel hat. Im Verfassungsschutzbericht NRW wurde der Überfall im cinemaxx als „versuchte“ Störung verharmlost.
Ein großer Teil der Wuppertaler Politiker und der Presse pflegt ebenso wie die Polizei das diffuse Feindbild des „Extremismus“ und damit die Gleichsetzung von links und rechts. Denn nur so ist zu erklären, dass die Politiker ihrer Aufgabe in einer demokratischen Gesellschaft, die Polizei zu kontrollieren und gegebenenfalls auch zu kritisieren, nicht nachkommen. Von den verantwortlichen Politikern der Stadt hätte man erwarten können, dass sie sich öffentlich hinter die Mitarbeiter des mit der Stadt verbundenen Medienprojekts stellen. Erstaunlich ist auch, dass bislang keine Partei den Rücktritt der Polizeipräsidentin Birgitta Radermacher gefordert hat, von der wir wissen, dass sie auf dem Tanzparkett zu glänzen weiß, aber nicht in ihrem Amt. Das hat sie in den letzten Monaten mehrfach bewiesen. Sie hat weder ihren Apparat im Griff – die Abteilung Staatsschutz und die Polizeiwache Vohwinkel – noch ein angemessenes politisches Verständnis der Gefahr von rechts. Mit dieser Polizeipräsidentin ist Wuppertal auf dem besten Wege, sich neben Dortmund-Dorstfeld zu einer zweiten Hochburg der Neonazis in NRW zu entwickeln. Dass dies nicht geschieht, dazu bedarf es aber auch Politiker, die nicht nur Zivilcourage gegen Neonazis predigen, sondern auch diejenigen, die diese Zivilcourage zeigen, gegenüber der Polizei verteidigen.
Dieter Nelles

Offener Brief von „Spurensuche e.V.“ an die Wuppertaler Polizeipräsidentin Birgitta Radermacher
Sehr geehrte Frau Polizeipräsidentin,
die Verbotsverfügung gegen die angemeldete Nazi-Kundgebung am 9.11.2011 in Wuppertal, die bis in die höchste Gerichtsinstanz bestätigt wurde, begrüßen wir sehr.
Als Teilnehmerinnen und Teilnehmer an der Demonstration „Erinnern heißt Handeln“ am 9. November 2011 sind wir dann aber zutiefst entsetzt!
Der Demonstrationszug führte am Haus Kaiserstraße 30 vorbei, in dem sich einige der Wuppertaler Nazis aufhielten. Das Haus wurde von Ihren Beamten und Beamtinnen geschützt. Durch Transparente und Kerzen provozierten die in der Wohnung Anwesenden die Demonstrierenden und verhöhnten durch Parolen wie „Mehr Gas“ und „6 Millionen sind nicht viel“ die Opfer der damaligen Nazis an der Macht. Auch die Parole „Was wir wollen ist nicht viel – Bomben auf Israel“ konnte im Demonstrationszug gut verstanden werden, besonders deswegen, weil die Teilnehmer der Demonstration sich sehr ruhig auf der Kaiserstraße bewegten. Von den anwesenden Beamtinnen und Beamten wurde nicht eingeschritten, so dass die Faschisten auch auf dem Rückweg des Demonstrationszuges weiterhin hörbar ihre antisemitischen Parolen rufen konnten.
Dies ist uns völlig unverständlich und empört uns!
Wurde doch die von den Nazis angemeldete Gegenkundgebung verboten, verbunden mit dem Hinweis aus dem Urteil des OVG , es bestehe durch die Kundgebung eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Ordnung. Diese Begründung sollte nach unserer Auffassung für jede öffentliche Bekundung von Nazis gelten, nicht nur zu Gedenkdaten denen „eindeutiger Sinngehalt mit gewichtiger Symbolkraft zukommt.“
Warum wurde bei diesen Parolen mit eindeutig volksverhetzendem Charakter nicht eingeschritten? Auch bei der Demonstration der „Nationalen Sozialisten“ am 29.1.2011 in Wuppertal ignorierten die BeamtInnen, dass Absingen verbotener Lieder und die Rufe volksverhetzender Parolen.
Wir können keinen Unterschied, zwischen einem faschistischen Aufmarsch und eindeutig und laut auf die Straße hinaus gebrüllten faschistischen Parolen und dabei gezeigten großen Bannern der Nazis an der Wand des Hauses erkennen. Es geht nicht nur darum, Nazis von öffentlichen Aufmärschen und Versammlungen fernzuhalten, sondern sie daran zu hindern, ihre Hetzparolen und Aufrufe zu Gewalttaten öffentlich zu skandieren, auch wenn dies aus den Fenstern von privaten Häusern geschieht. Das darf nicht wieder in der Gegenwart von Polizei und Staatsschutz, genau wie am 9. November 1938, geschehen. Vor 73 Jahren haben nicht nur Bürger zugeschaut oder weggeschaut und keiner hat die Brandstifter und Mörder gehindert.
Diese Provokationen können keineswegs mit dem grundgesetzlichen Hinweis der freien Meinungsäußerung gedeckt sein. Unsere immer wieder beschworene streitbare Demokratie verträgt diese Hass- und Gewaltparolen nicht!
Auch zu berücksichtigen sind gerade in Vohwinkel die bekannten gewalttätigen Übergriffe der auch Ihnen bekannten Nazis aus der Kaiserstraße 30.
Wir stellen hiermit Strafanzeige wegen Volksverhetzung gegen die Ihnen bekannten Nazis aus der Kaiserstr. 30 und bitten wegen weiterer drohender Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und des friedlichen Zusammenlebens in Wuppertal um zügige Bearbeitung dieser Anzeige. Wir denken, das ist im Sinne der Wuppertaler Bevölkerung.
Mit freundlichen Grüßen
i.A. J. Vogler
25.11.2011

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