75. Jahrestag der Pogrome in Wuppertal – 75 Jahre „Arisierung“ und Raub

75 Jahre Oktober-Deportation nach Polen.
Das Jahr 1938 wurde zum Schicksalsjahr für viele Wuppertaler Juden und Jüdinnen.


75 Jahre später sind eigentlich nur noch die Ereignisse um die Pogrome am 9/10. November 1938 halbwegs präsent.
Wir wollen daher an diese vergessenen Ereignisse der „Wuppertaler Stadtgeschichte“ erinnern und dabei die jüdischen Opfer würdigen und die involvierten Täter, Institutionen und besondere Arisierungsgewinnler benennen. Ein paar durch Arisierung und Raub groß gewordene Geschäfte und Firmen existieren bis heute… Die Firmen sind aber nicht alle so dreist wie das Schuhhaus Klauser, das 2011 noch die Arisierung jüdischer Geschäfte feierte. (http://www.ruhrbarone.de/wuppertal-schuhhaus-klauser-feiert-die-arisierung-juedischer-geschaefte/)
28. Oktober 1938 „Polenaktion“
Nur wenig bekannt ist die Zwangsausweisung von etwa 200 Wuppertaler Juden, deren Familien irgendwann aus Polen nach Deutschland eingewandert waren und polnische Pässe besaßen. Auf Anordnung von Himmler wurden überall im Land etwa 17.000 Juden inhaftiert: am 27. Oktober 1938 gab der Düsseldorfer Regierungspräsident den Polizeipräsidenten die Anweisung, alle polnischen Juden mit gültigem Pass in „Abschiebehaft“ zu nehmen und vor dem 29. Oktober über die Grenze abzuschieben. In Wuppertal vollstreckte die Schutzpolizei ein Schreiben des Wuppertaler Polizeipräsidenten: „Auf Grund des § 5 Ziff. 1 der Ausländerpolizeiverordnung vom 2.8.1938 (….) verbiete ich Ihnen den weiteren Aufenthalt im Reichsgebiet. Das Aufenthaltsverbot wird im Wege des Transports über die deutsche Reichsgrenze durchgeführt. (…) Sie werden darauf hingewiesen, dass Sie ohne besondere Erlaubnis nicht mehr in das Reichsgebiet zurückkehren dürfen.“
200 WuppertalerInnen wurden durch die Wuppertaler Polizei in ihren Wohnungen verhaftet und an die deutsch-polnische Grenze nach Bentschen „abgeschoben“. Über das weitere Schicksal und die genaue personelle Zusammensetzung der „Abgeschobenen“ wissen wir bis heute nur wenig. Die meisten sind wohl nach dem deutschen Überfall auf Polen und dem Beginn der systematischen Judenvernichtung in den Vernichtungslagern, in den Ghettos und bei Massenerschießungen getötet worden. Nur wenige sind uns namentlich bekannt, die sich rechtzeitig ins Ausland retten konnten oder die Lager und Ghettos überlebten. Von 51 Personen wissen wir sicher, dass sie ermordet wurden.
Die Massenabschiebung der ostjüdischen Menschen im Oktober 1938 führte zu Problemen beim geordneten Ablauf der “Entjudung” der Wuppertaler Wirtschaft, wie aus folgendem vertraulichen Schreiben des Regierungspräsidenten an die IHK Wuppertal vom 29.10.1938 zu entnehmen ist: “Die Notwendigkeit, zahlreiche Juden polnischer Staatsangehörigkeit nach Polen abzuschieben, hat zur Folge gehabt, dass polnische Geschäfte, hauptsächlich Ladengeschäfte ihre Leitung verloren haben und vertretungsberechtigte Angestellte nicht zurückgeblieben sind. Die Polizeiverwaltungen haben daher schon hier und da solche Geschäfte zum Schutze der abwesenden Inhaber geschlossen.
Kurzbiographien
Ruth Censer, geb. am 09.11.1925, wohnte in der Rödigerstr. 68 in Barmen. Sie begann eine Ausbildung als Krankenschwester; sie wurde aber am 28.10.1938 mit den Eltern im Zusammenhang der “Polenaktion” deportiert; sie wurde von einerr jüdischen Hilfsorganisation nach Grochow bei Warschau gebracht; dort ist sie verschollen und später für tot erklärt worden.
Ihr Vater: Bernhard Censer; geb. am 16.10.1897 in Polen; war bis 1934 in der Firma seines Vaters, in einem Wäschevertrieb, tätig; anschl. Arbeitete als Vertreter einer Umpresserei für Hüte; er floh nach Haussuchung 1933, Überfall mit Misshandlungen 1935 und schließlich nach Bedrohungen durch Hausbewohner Anfang 1938 nach Polen; und traf 1939 mit seiner Familie zusammen. Nach dem Einmarsch der deutschen Truppen wurde mit seiner Ehefrau und seiner Tochter Ruth ins Ghetto Krakau eingewiesen; kehrte nach einem Zwangsarbeitseinsatz nicht mehr dorthin zurück; Er wurde später für tot erklärt. Seine Ehefrau, Hedwig Lydia Censer, geb. am 5.2.1903 in Elberfeld; trat vor ihrer Heirat 1921 zum Judentum über. Sie teilte die Verfolgung ihres Ehemannes; sie wurde am 28.10.1938 mit den 6 Kindern nach Polen ausgewiesen und ins Grenzlager Bentschen deportiert, nach Einmarsch der deutschen Truppen wurde die Familie ins Ghetto Krakau eingewiesen. Sie konnte 1942 mit falschen Papieren nach Berlin fliehen; sie lebte dort versteckt bei Freunden; und nach einem Besuch bei ihrer Mutter in Wuppertal flüchtete sie weiter nach Wien; dort lebte sie illegal bis zur Befreiung und ging 1948 nach London. Am 28.7.1961 starb sie in Hove, Sussex/England. Zwei weitere Kinder konnten sich aus Polen mit einem Kindertransport nach England retten.
Eva Cooper, geb. Liebermann, geb. am 19.10.1917 in Elberfeld; wohnte in Wülfingstr. 19a. Sie begann eine kaufmännische Lehre bei Fa. Leonhard Tietz bis zu deren Arisierung; sie half anschl. im Geschäft des Vaters; am 28. Oktober 1938 wurde sie nach Polen ausgewiesen; sie emigrierte nach Entlassung aus dem Grenzlager Bentschen/Zbaszyn am 19.5.1939 nach England (per Eisenbahn von Zbaszyn nach Gdingen, per Schiff weiter nach London, per Bahn nach Cheltenham); sie war von 1942-1948 als Näherin tätig; heiratete 1947 und wanderte 1954 mit ihrem Ehemann und ihrer Tochter weiter in die USA.
Moritz Tyger, geb. am 27.12.1893, kam 1919 von Polen nach W.-Elberfeld; er betrieb bis Okt. 1938 eine Schneiderei als Zwischenmeisterei in der Karlstr. 28, bis zu deren erzwungener Aufgabe. Er wurde am 28.10.1038 nach Polen ins Grenzlager Bentschen, deportiert; er kehrte aber nach kurzem Aufenthalt in Warschau nach Wuppertal zurück, um seine persönlichen Angelegenheiten zu regeln. Er wurde am 12.9.1939 verhaftet und am 21.12.1939 ins KZ Sachsenhausen überführt, am 3.9.1940 ins KZ Dachau verbracht, wo er verstarb. Die Urne wurde nach Wuppertal überführt; sie wurde auf dem jüdischen Friedhof am Weinberg beigesetzt. Seine Ehefrau Helena/Lina Tyger, geb. Weintraub; geb. am 12.2.1890 in Larzczow/Polen; zuletzt wohnhaft .im Judenhaus in der Tannenbergstr. 12; wurde am 27.10.1941 ins Ghetto Lodz deportiert; dort ist sie verschollen und für tot erklärt worden.
Die Pogrome vom 9. bis zum 11. November 1938 in Wuppertal
Wie überall im Deutschen Reich wurden zwischen dem 9. und 11. November 1938 auch in Wuppertal neben der Zerstörung der Synagogen und Betsäle, zahlreiche jüdische Geschäfte und Privatwohnungen teilweise am helligten Tag verwüstet und geplündert.
Die Täter brauchten nicht den Schutz der Nacht. Wenn die jüdischen Einrichtungen nicht restlos abbrannten, kamen sie bis zu dreimal an den Tatort wieder. Am 10. November um 4:00 Uhr brannte die Synagoge an der Genügsamkeitsstraße, um 8:00 Uhr wurde die Barmer Synagoge angezündet.
Um 18:00 Uhr kamen die Brandstifter wieder in die Genügsamkeitsstrasse und legten erneut Feuer. Die Friedhofskapellen am Weinberg und an der Hugostrasse brannten schließlich um 20:00 Uhr. Das Bettengeschäft Sigismund Alsberg in der Berliner Straße wurde dreimal angesteckt. Kissenbezüge und Betten wurden geraubt. Die Herzogstraße und die Königstraße in Elberfeld waren mit Waren und mit zertrümmerten Gegenständen aus jüdischen Geschäften übersät, auch die Textilhandlung Wolf und Heimann wurde geplündert. Der nur kurz vorher vom Schuhhaus Klauser arisierte „Schuhpalast“ von Emil und Pauline Rosendahl in der Berlinerstr. wurde ebenfalls von den Nazis demoliert. Die Löschung im Handelsregister war schon am 27.10.1938 erfolgt. In der Grünstraße waren ganze Wohnungseinrichtungen aus dem Haus geworfen worden, in der Elberfelder Wortmannstraße brach der Nazimob in Wohnungen ein, ein Flügel wurde demoliert, auf der Strasse ein Auto in Brand gesetzt. Die 73 jährige Johanna Siéradzki wurde in der Pogromnacht in ihrer Wohnung in der Mittelstrasse überfallen und erlitt einen Gehirnschlag, an dem sie am 13. November 1938 verstarb.
Die Täter, unter ihnen der SS-Mann und Versteigerer Bruno Koepchen, fuhren mit der Kraftdroschke vor. In der Herzogstraße warfen sie beim Schuhhaus Tack und anderen jüdischen Geschäften mit Flaschen die Schaufensterscheiben ein. Der Fahrer brachte sie nach kurzem Zwischenstopp in der Kreisleitung der NSDAP zur Synagoge in die Elberfelder Genügsamkeitstraße. „Die Herren stiegen aus und begaben sich zur Synagoge. Da sie durch das Hauptportal nicht in die Synagoge hinein konnten, gingen sie von der Seite aus, durch den dort befindlichen Eingang in die Synagoge. Nach einiger Zeit sah ich dann, dass die Synagoge brannte.“
Über die Zerstörung der Elberfelder Synagoge informierte der Oberbrandmeister Wessels wie folgt: „Nach 4 stündiger Arbeit war das Feuer gelöscht.(…) Schaden für unsere Volksgenossen ist nicht entstanden. (…) Ursache: Konnte nicht festgestellt werden. Zur Sicherung der Nachbarschaft wäre zu empfehlen, die Synagoge abzureißen. Eigentümer: Jüdische Gemeinschaft. Stand: Parasiten. Wohnung: Palästina.“ (Schnöring: Auschwitz begann in Wuppertal, 1981, S. 84-85.)
Die Zerstörungen mussten die Jüdinnen und Juden übrigens per „Sühneabgabe“ selber zahlen. Insgesamt 1 Milliarde Reichsmark mussten reichsweit für die „Judenvermögensabgabe“ zum Ausgleich der Schäden aufgebracht werden. Die Finanzämter „gewährten“ Ratenzahlungen, die in fünf Raten eingezogen wurden. Wer jetzt noch auswandern konnte, musste auch den Rest seines Vermögens den deutschen Finanzämtern überlassen. Nach der Pogromnacht wurden 125 jüdische Männer aus Wuppertal in die Konzentrationslager Dachau und Sachsenhausen verschleppt. Die Bilanz des Pogroms, das am 10. November offiziell für beendet erklärt wurde, war erschreckend: Über tausend Synagogen waren abgebrannt, mindestens 8000 jüdische Geschäfte zerstört sowie zahllose Wohnungen verwüstet. Zwischen 90 und 100 Jüdinnen und Juden waren erschlagen, niedergestochen oder zu Tode geprügelt worden. Hinzu kamen Millionenschäden an zerstörten Geschäftseinrichtungen und Schaufensterscheiben. Das alles wurde im Volksmund bald mit dem Begriff „Reichskristallnacht“ verharmlost.
NS-Täter Koepchen
Einer der Brandstifter, der schon genannte Bruno Koepchen, Spross aus der bekannten Versteigerer-Familie Koepchen, macht noch weiter NS-Karriere. Der überzeugte Nazi, er ist seit 1930 Mitglied der NSDAP, rückte am 6.9.1939 zur Ausbildung zur SS-Totenkopf-Standarte nach Dachau ein und leistet seinen SS-Dienst als Wachposten im KZ Dachau und später im KZ Flossenburg. 1940 ist sein Dienstgrad Rottenführer. Anfang Juni 1941 wechselt er als SS-Sturmmann zur Inspektion der Konzentrationslager nach Oranienburg. Ab den 3. 2.1941 steigt der SS-Mann zum Sachbearbeiter im SS-Wirtschafts- und Verwaltungshauptamt auf. In der Abteilung D IV/ 4 bearbeitet er im Bereich KZ-Verwaltung. Am 1.5.1942 wird er zum SS-Unterscharführer befördert. Es ist unklar, wann Bruno Koepchen zurück nach Wuppertal kommt, sicher ist aber, dass das Versteigerungshaus Koepchen ab 1941 von der Gestapo beauftragt wurde, nach jüdischem Besitz in Wuppertal zu fahnden und später jüdischen Besitz auf großen Versteigerungen an die deutschen Volksgenossen weitervertickte. Unmittelbar nach den Deportationen wurde der Hausrat und die Wohnungseinrichtungen von Mitarbeitern vom Finanzamt taxiert und bei öffentlichen Versteigerungen wie im Evangelischen Vereinshaus, in den Wohnungen der Deportierten oder in den Versteigerungslokalen von Koepchen und Wiedenstritt regelrecht verschleudert.
Arisierung
Vergessen ist auch die legale Beraubung von jüdischen Geschäftsleuten, die die Nazis „Arisierung“ nannten. Die Versuche die Wuppertaler Juden und Jüdinnen aus dem wirtschaftlichen Leben zu drängen und ihrer Existenz zu berauben, reichen bis in die “Kampfzeit” der NSDAP vor 1933 zurück und wurzelten in einem “wirtschaftlichen Antisemitismus”. Er begann in Wuppertal mit den antisemitischen Kampagnen des „Kampfbund für den gewerblichen Mittelstand“ und der NSDAP. Der Hass richtete sich zunächst gegen die großen jüdischen Kaufhäuser, gegen die „Einheitspreisgeschäfte“ und gegen die starken Konsumgenossenschaften der Arbeiterbewegung.
Nach der Machtübergabe bestand die politische Basis der NSDAP auf Einhaltung der „Wahlversprechen“ und forcierte mit eigenen Aktionen die „Entjudung“. Bereits am 10. März 1933 begannen die ersten Boykott- und Besetzungsaktionen gegen Tietz in Wuppertal, der reichsweite Boykott-Tag folgte erst am 1. April 1933. Ihm folgte die Durchsetzung des „Arierparagraphen“ in der Verwaltung . Entlassung von jüdischen Beschäftigten und die Nicht Berücksichtigung von jüdischen Lieferanten war die Folge.
Auf dem wirtschaftlichen Feld vollzieht sich die „Arisierung in zwei Phasen. In der ersten Phase (bis 1938) wird die wirtschaftliche Ausschaltung der Juden forciert durch aggressive Boykottkampagnen. Geschäftsaufgaben oder Übernahmen sind die Folge. Viele der Betroffenen versuchen in dieser Zeit Deutschland zu verlassen und müssen ihr Geschäft und ihre Warenlager unter Wert verkaufen und werden durch die sogenannte Reichsfluchtsteuer und Zollbestimmungen noch erheblich zur Kasse gebeten. Die größten Übernahmen von jüdischen Geschäften werden in diesem Zeitraum getätigt. Tietz wird z.B. bereits im Juli 1933 vom „Westdeutschen Kaufhof“ gekauft und zum „arischen“ Warenhaus, die jüdischen Vorstandsmitglieder müssen abtreten.
Die zweite Phase beginnt 1938. Das Jahr 1938 wird zum Schicksalsjahr der deutschen Juden. Ab April 1938 wird die „Arisierung von oben“ gestartet, die Industrie und Handelskammer in Personalunion mit dem Kreiswirtschaftsberater der NSDAP Friedrich Wachs beginnt die Arisierung planmäßig.
Die Wuppertaler „Ostjuden“ werden einfach durch „Abschiebung“ nach Polen im Oktober 1938 enteignet. Ihre Geschäfte müssen sie zurücklassen, die Polizei sorgt für Sicherung und von der IHK eingesetzte Treuhänder sorgen für die Verwertung der Geschäfte.
In der Reichspogromnacht werden zahlreiche jüdische Geschäfte und Privatwohnungen beschädigt und geplündert. 125 Wuppertaler Juden werden nach Dachau und Sachsenhausen verschleppt. Die Zerstörungen müssen die Juden per „Sühneabgabe „ selber zahlen und werden vom Finanzamt zur Kasse gebeten. Wer jetzt noch auswandern kann ,muss den größten Teil seines Vermögens den deutschen Finanzämtern überlassen.
Direkt nach dem 9.November 1938 wird auch die endgültige Auflösung von jüdischen Geschäften und Firmen gesetzlich angeordnet. Die IHK überwacht den Prozess der Arisierung, ihre Gutachter taxieren den Wert, überprüfen die „betriebswirtschaftlichen Fähigkeiten“ der „Arisierer“ und vermitteln Kaufinteressenten. Wenn die Parteistellen dann die politische Zuverlässigkeit der „Arisierer“ signalisieren, steht dem legalen Raub nichts mehr im Wege.
Weitere Stationen der Enteignung sind der Raub der Häuser und Grundstücke und 1941 beginnt auch die Zwangsabgabe von Schmuck und anderen Wertsachen. Bankguthaben werden eingezogen und am Vorabend der Deportationen müssen die in Wuppertal verbliebenen Juden alles Vermögen deklarieren und der Gestapo übergeben.
Direkt nach der Abfahrt der Deportationszüge werden Hausrat und die Wohnungseinrichtungen vom Finanzamt abgeholt und in öffentlichen Versteigerungen zu Gunsten der „deutschen Volksgenossen“ und deutscher Einrichtungen kostengünstig verscherbelt.
Profiteure
Die genaue Anzahl der in Wuppertal arisierten Geschäfte und Firmen ist nicht bekannt. Dafür aber einige der Arisierer. Manche waren einfach so blöd, oder zu dreist, ihre Firmengründungen in das Jahr der Arisierung der jüdischen Geschäfte zu datieren. Andere gaben sich als Geschäfte mit über hundertjähriger Tradition aus und vergaßen einfach ihre jüdischen Firmengründer, die – praktischerweise- von den Nazis ermordet oder ins Exil getrieben wurden.
Daher möchten wir hier exemplarisch an die folgenden jüdischen Geschäfte und Firmen erinnern, die so „erfolgreich „ arisiert wurden, dass sie bis in die jüngste Zeit noch am Markt existent waren… Wenig schuld bewusst agiert nach wie vor das Auktionshaus Koepchen: Auf ihrer Internetseite werben sie wie folgt: „Das KOEPCHEN Auktionshaus und Sachverständigenbüro wird bereits seit 1883 in der 5. Generation geführt. Eine kompetente, vertrauensvolle und langjährige Zusammenarbeit mit unseren Auftraggebern und Kunden spricht für den Erfolg und Zuverlässigkeit unseres Hauses.“ Das werden die Angehörigen der jüdischen Wuppertaler NS-Opfer sicherlich anders sehen..
Zum Schuhhaus Klauser muss man nicht mehr viel sagen, nur dass ihnen die Enthüllung von 2011 nicht mal peinlich war, auch weil die Wuppertaler Medien sich nicht zu berichten trauten. (http://arisierung.blogsport.eu/2011/07/19/frankfurter-rundschau-berichtet-wupeprtaler-medien-nicht/) Einzig die Kaufhof AG hat sich im letzten Jahr mit einer Veranstaltung und einer Broschüre zur Arisierung des jüdischen Kaufhauses Tietz bekannt. (http://www.wz-newsline.de/lokales/wuppertal/100-geburtstag-alte-synagoge-erinnert-an-warenhaus-tietz-1.957405)
Dass sogar Geschäfte, die jetzt im November 2013 schließen, noch ihre Arisierungsgeschichte verschweigen müssen, ist unwürdig: So berichtete die WZ: „Hosen Klaus macht im November Schluss. 48-jährige Tradition geht zu Ende. Seit 48 Jahren gibt es das Unternehmen Hosen Klaus. Doch am 16. November wird diese Tradition ein Ende finden. Inhaber (…) schließt das Geschäft an der Eugen-Rappoport-Straße in Barmen. Also den Laden, in dem Generationen von Wuppertalern ihre Freizeitkleidung gekauft haben und in den auch heute mitunter noch drei Generationen gleichzeitig einkaufen gehen (…) . Er selbst hat das Geschäft vor 17 Jahren übernommen, nachdem der Vorbesitzer unerwartet gestorben ist. Damals ist das Unternehmen durch den Tod des Vorbesitzers auch extrem geschrumpft. Denn früher gab es sagenhafte 14 Filialen von Hosen Klaus. Den Anfang hatte diese Erfolgsgeschichte mit einem kleinen 40 Quadratmeter großen Geschäft an der Neumarktstraße genommen.“
Richtig ist an diesem Artikel nur, dass die Firmengeschichte von Hosen Klaus tatsächlich in der Neumarktstr. 29. begann, allerdings schon im Jahre 1938, zu einer Zeit, wo die Neumarktstrasse zwischendurch mal Hermann- Göring-Straße hieß…
Das Geschäft Hosen-Klaus kann in Wirklichkeit also auf eine 75 jährige (Arisierungs-) Geschichte zurückblicken. Im Oktober 1938 schaltete der neue Besitzer eine Anzeige: „Geschäftsübernahme. Das bekannte Hosenhaus-Lachmann jetzt in arischem Besitz. Hosenhaus-Klaus, W-Elberfeld Hermann-Göring-Straße 29.“
Der Vorbesitzer Jakob Lachmann, geb. am 8.6.1905 in Wittmund, wohnte in der Bankstr. 4. Bis 1932 war er bei FA. Alsberg & Co. in Osnabrück als Verkäufer tätig. Lachmann eröffnete 1933 in Wuppertal die Fa. Hosen-König, welche er in Hosenhaus Lachmann umbenannte. Sein Geschäft wurde am 4.8.1938 arisiert, am 11. 11.1938 wurde er nach der Pogromnacht verhaftet und bis 1.12.1938 in Dachau inhaftiert. Am 8.12.1939 konnte er in die USA emigrieren
Unbekannter ist die Arisierung der am Wall gelegenen Firma Gebrüder Alsberg. In einem Zeitungsinserat informierte der „Ariseur“ Koch am Wall, dass das traditionsreiche jüdische Geschäft „nach fast 50jährigem Bestehen in deutschen Besitz übergegangen“ ist. Auch dass die Lackfirma Herberts (jetzt Dupont) den jüdischen Konkurrenten Breuer arisiert hat, ist weitgehend unbekannt.
Wuppertal-Metall
Interessant ist auch der Fall der Firma Wupper-Metall, die jetzt unter Kurth-Gruppe in Dormagen firmiert. Recherchen des Bochumer Historikers Joachim Scholtyseck: Der Aufstieg der Quandts belegen, dass Wupper-Metall aus der jüdischen Firma Weißkopf & Co. entstanden ist. Die Firma wurde über verschiedene Tarnfirmen dem Firmenimperiums Quandt einverleibt. Zu dieser Übernahmepraxis meint Scholtyseck: Günther Quandt zählte zu den Unternehmern, die die «Notlage der jüdischen Besitzer bewusst und kühl ausnutzten» – sie erwarben die Firmen in der Regel weit unter ihrem Wert.
Die Arisierung von Weißkopf & Co. war strategisch vorgeplant. Quandt hatte sich im Vorgriff auf den Krieg und insbesondere auf den Flugzeugbau die wichtigsten Aluminium-Verarbeiter unter den Nagel gerissen, in diesem kriegswichtigen Sektor lockten Extraprofite und unbeschränkter Zugriff auf ZwangsarbeiterInnen. Wupper-Metall „übernahm“ dann auch folgerichtig nach dem Überfall auf Frankreich 1940 eine französische Aluminium-Firma und leistete sich eine Firmenvertretung. In der Selbstdarstellung von Wupper-Metall liest sich das freilich anders: „ Das Unternehmen wurde 1938 von August Kurth in Berlin gegründet. Gearbeitet wurde in Wuppertal. (…) Wuppermetall ist ein Familien-Unternehmen. Zurzeit steht der Wechsel in die dritte Generation an: Senior Dieter Kurth (59) übergibt die Geschäftsleitung an seine Söhne Boris (33) für den kaufmännischen und Gregor (27) für den technischen Bereich. (…) Dieter Kurth hatte in den vergangenen fünf Jahren in das von seinem Vater August Kurth gegründete Unternehmen einen zweistelligen Millionenbetrag investiert.
Weißkopf & Co. wurde 1895 in Wuppertal-Oberbarmen gegründet. Leopold und dessen Sohn Otto stellen Rohmetalle aus Zink, Blei, Messing und Aluminium her und betrieben einen eigenen Handel mit Verhüttungsmaterial. Nachdem beide 1934 verstarben, leiteten ab 1936 Ernst Goldschmidt und Max Calmann das Unternehmen. 1938 entzog der Wuppertaler Polizeipräsident der Firma die Handelserlaubnis.
Die eigentliche Arisierung fand im Juni 1938 ohne Ausgleichsabgabe durch die Paul Vetter Maschinen KG aus Oberbarmen statt. Dieser „Verkauf“ war aber nur eine „vorübergehende Lösung“: Im gleiche Jahr wurde das arisierte Geschäft an eine extra für diesen Deal gegründete Tochtergesellschaft der Dürener Metallwerke weitergereicht. Wie Scholtyseck recherchierte, wurde am 24. Juni 1938 Weißkopf & Co. von der neu gegründeten Westdeutschen Metallverwertung GmbH erworben, die sich später in Wuppertaler Metallverwertung GmbH umbenannte. Am 29. Juni 1938 wurde die Firma an Wupper-Metall unter Werner Miehle in Berlin weiterverkauft, der zugleich Prokurist in der Hauptverwaltung der Dürener Metallwerke in Berlin war. Als Kaufpreis wurden 63.500 RM vereinbart. Das 23 köpfige Unternehmen hatte 1936-1938 insgesamt einen Umsatz vom 457.000 RM erwirtschaftet, der Gewinn belief sich auf 49.000 RM. Am 21.2.1939 wurde Weißkopf schließlich aus dem Handelsregister gelöscht und die Wuppermetall GmbH mit einem Kapital von 100.000 RM ausgestattet.
Die ehemaligen jüdischen Besitzer und leitenden Mitarbeiter von Weißkopf & Co. konnten rechtzeitig mit ihren Familien in die USA fliehen:
Ernst Goldschmidt, pers. haftender Gesellschafter der FA. Weißkopf & Co. KG emigrierte mit seiner Familie am 16.2.1939 in die USA. Albert Dittmann, Prokurist der Fa. Weißkopf KG, Machinengesellschaft, An- und Verkauf gebrauchter Maschinen vornehmlich im bergischen Raum; heiratete die Wwe. des früheren Inhabers der Fa. Mali Weißkopf; nach erzwungenem Verkauf der Fa. am 6.10 1938 emigrierte er mit seiner Ehefrau über Mailand, Zürich und Boulogne in die USA. Auch Max Callmann, nach der Lehre bei der Fa. Weißkopf & Co., technischer Betriebsleiter, seit 1935 tätiger Mitinhaber dieser Firma emigrierte am 20.5.1939 in die USA. Auch Annemarie Goldsmith, geb. Weißkopf; Tochter des Otto Weißkopf, Inhaber der Fa. Weißkopf & Co; lebte nach dem Tode ihres Vaters mit ihren 2 Geschwistern bei ihrer Mutter Mali Weißkopf, die 1936 wieder heiratete, emigrierte in die USA
IHK bedauert zutiefst die Rolle
„Die IHK bedauert zutiefst die Rolle, die Personen aus Haupt- und Ehrenamt in der Zeit der Nazi-Diktatur bei der Arisierung gespielt haben. Das Verhalten der führenden Personen der damaligen IHK war menschenverachtend. Das begangene Unrecht bestürzt uns. Die IHK sei sich ihrer historischen Verantwortung bewusst. Die Aufarbeitung der eigenen Geschichte ist für die IHK als Institution essenziell, um das Vergessen zu verhindern und um zukünftig sicherzustellen, dass solches Unrecht nicht wieder geschieht”, sagte leider nicht der IHK -Hauptgeschäftsführer von Wuppertal. Die Zitate stammen von den Kollegen der IHK in Mannheim.
Dass die Wuppertaler IHK, aber auch das Finanzamt, die Firmen Koepchen, Klauser, Herberts, Wupper-Metall und Co. sich freiwillig ihrer NS-Geschichte stellen, darauf muss man wahrscheinlich noch weitere 75 Jahre warten…